Volkstrauertag
in Reutti
Wie jedes Jahr besuchten
auch heuer einige Mitglieder des örtlichen NPD-Kreisverbandes die
Gedenkveranstaltung des Landkreises für die Opfer der Kriege am
Soldatenfriedhof in Reutti, die am vorigen Sonntag stattfand. Der
Ablauf der Veranstaltung war dem der vergangenen Jahre sehr ähnlich.
Neben den Fahnenträgern waren es vor allem der Männerchor der „Johannes-Rösle-Gruppe“
und die Schützenkapelle Reutti-Jedelhausen, die der Veranstaltung
die ihr gebührende Würde verliehen. Zudem trug der ehemalige
Frontsoldat Erwin Kienzler ein Gedicht vor, das vom grausamen Alltag
an der Ostfront handelte.
Die meiste Zeit wurde von der Rede des Landrats Erich Josef Geßner
eingenommen. Wir könnten hier direkt auf die Berichte aus den
Vorjahren verweisen, ganz nach dem Motto: „The same procedure as
every year“. Einzelne Aspekte aus Geßners Rede sollen jedoch an
dieser Stelle genauer diskutiert werden – auch und vor allem im
Hinblick auf das selektive Geschichtsbild unserer Tage, das den
Zweiten Weltkrieg als alleiniges Werk Adolf Hitlers gedeutet sehen
will und den Beitrag, den die anderen Darsteller auf der europäischen
Bühne leisteten, konsequent ignoriert.
Geßner widmete sich unter anderem der Frage, wann ein Krieg denn
gerecht sei und sprach von dem Dilemma, daß es zur Verhinderung von
Gräueln und Verbrechen gegen die Menschlichkeit manchmal unumgänglich
sei, daß man den Krieg als ultima ratio wählt – freilich im
Zusammenhang mit den Auslandseinsätzen der Bundeswehr, die er als
CSU-Parteibuchträger schon allein aus Loyalität seiner Partei
gegenüber gutheißen muß; selbst wenn ihre Sinnlosigkeit und ihr
heuchlerischer Charakter noch so deutlich zu Tage treten.
Doch widmen wir uns der Zeit zu, in der das „verbrecherische
Nazi-Regime“ seine „friedliebenden Nachbarn überfallen“
hatte. So faßte der Landrat dem Sinn nach die Entstehungsgeschichte
des Zweiten Weltkriegs zusammen. Wir nehmen das Resultat der
folgenden Analyse vorweg: Während im Fall des Afghanistan-Einsatzes
die höchst skurrilen Geschehnisse am 11. September 2001 in
Kombination mit dem NATO-Bündnisfall eine moralisch äußerst
fragile Rechtfertigung des Kriegseinsatzes lieferten, steckte das
Deutsche Reich im Spätsommer 1939 viel stärker in dem Dilemma, daß
man manchmal das Mittel des Krieges anwenden muß, um schlimmeren
Verbrechen vorzubeugen.
Die Situation vor Kriegsbeginn wurzelte im Unrecht von Versailles,
welches die Weimarer Republik von vorneherein zum Scheitern
verurteilte. Schon 1919 prophezeiten einige Weitsichtige, daß sich
der nächste Krieg an der deutsch-polnischen Grenzfrage entzünden würde.
Die Abtretung des mehrheitlich deutsch besiedelten Korridors an
Polen und die daraus resultierende Trennung Ostpreußens und Danzigs
vom Reich schuf eine untragbare Situation für die Deutschen im
Osten. Neben der enormen wirtschaftlichen Schwächung – 1921
verlor das Deutsche Reich zusätzlich das industrielle Herzstück
Oberschlesien an Polen, obgleich die vorausgegangene Volksabstimmung
ein klares Ja zum Verbleiben bei Deutschland ergeben hatte – war
es vor allem die völkerrechtliche Lage der Volksdeutschen auf jetzt
polnischem Staatsgrund.
Die Polen traten die Rechte der nationalen Minderheiten auf ihrem
Grund und Boden – ob Deutsche, Juden oder Ukrainer – in jeder
Hinsicht mit Füßen. Insofern war es nur konsequent, daß die
polnische Regierung bereits 1920 das Minderheitenschutzabkommen
einseitig aufkündigte (mehr dazu im Artikel „Befreiung oder
Niederlage oder was?“ des Bundeswehr-Generals a.D. Gerd
Schulze-Rhonhof). Es ist charakteristisch für die polnische
Expansionswut in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, daß
von den 30 Millionen Einwohnern des Staates Polen nach dem Ersten
Weltkrieg nur 19 Millionen Polen waren.
Um sich ein Ausmaß der Diskriminierung der seit Jahrhunderten
angestammten deutschen Bevölkerung durch die polnische Obrigkeit
machen zu können, sei der Historiker Michael Hartenstein zitiert:
„Durch politische und administrative Maßnahmen wurden Deutsche
zum Verlassen des Landes gedrängt, bei den Bodenreformen von 1919
und 1925 wurde Grundeigentum Deutscher weit überproportional
herangezogen. Vom polnischen Außenministerium wurden all diese Maßnahmen
als ,Entgermanisierung’ bezeichnet. Von den etwa 1,1 Millionen
Deutschen, die durch die Grenzveränderung nach dem ersten Weltkrieg
unter polnische Herrschaft kamen, verließen bis 1939 rund 750.000
ihre Heimat.“ (M. Hartenstein, „Die Geschichte der Oder-Neiße-Linie“,
S. 37)
Diese nüchternen Zahlen vermitteln jedoch noch keine Vorstellung
von der Grausamkeit des polnischen Chauvinismus, dem die
Volksdeutschen ausgesetzt waren. Schon seit 1919 kam es zu Überfällen
auf deutsche Bauernhöfe; von einer rechtlichen Gleichstellung im öffentlichen
Leben konnte gar nicht die Rede sein. Tausendfach wurden Deutsche in
die Internierungslager Szezypiorno und Stralkowo gesteckt.
In den 30er Jahren und insbesondere ab März 1939, nach der
englischen Garantieerklärung für Polen und der Teilmobilmachung
der polnischen Truppen, überstieg der Terror jede menschliche
Vorstellungskraft. Insbesondere die polnischen Überfälle auf
grenznahe Orte auf deutschem Boden nahmen überhand. Zwei Zeugen von
Tausenden sollen hier stellvertretend zu Wort kommen. Zunächst
Bringfriede Jung aus Heidelberg, deren Leserbrief am 22. September
1989 in der Frankfurter Allgemeinen erschien und der in dem Buch
„Die falsche Rolle mit Deutschland“ von Josef A. Kofler
abgedruckt ist:
„Im August 1939 flohen tausende über die Grenze. In den
Auffanglagern wurden mehr als 12.000 Deutsche registriert. Ich hielt
mich damals in Elbing auf und habe diese armen, ausgeplünderten und
zum Teil zerschlagenen Deutschen betreut. Alle großen Räumlichkeiten
Elbings, wie Turnhallen und Gasthaussäle, waren belegt. Das
Krankenhaus vor allem mit alten, kranken und zusammengeschlagenen
Menschen überfüllt. Später kamen dann die Deutschen, die von der
Wehrmacht aus dem berüchtigten Gefängnis ,Bereza Kartuschka’
befreit worden waren. Sie kamen aus allen Himmelsrichtungen Polens
und waren, während die Verhandlungen um einen Auto- beziehungsweise
Eisenbahndurchgang durch den Korridor noch liefen, in Gewaltmärschen,
in dieses, im Norden Polens gelegene Gefängnis getrieben worden. In
dieser Situation bemerkten wir in Ostpreußen den Rückzug der
Wehrmacht am 29. August. Wir bekamen es mit der Angst zu tun; denn
der – völlig unbegründete – Gebietsanspruch Polens auf Ostpreußen
war uns nur zu bekannt.“
Im selben Buch findet sich auch
der Leserbrief von O. Meyer aus Betzenstein, abgedruckt am
22.12.1989 im „Deutschen Anzeiger“:
„Im August 1939 wurde ich zur
landwirtschaftlichen Betriebsprüfung in der Nähe von Baldenburg,
also 15 km diesseits der damaligen polnischen Grenze abkommandiert
und hatte mein Quartier in einem Gasthaus. Am 28. August 1939 weckte
mich der Gastwirt um 4 Uhr morgens: ,Herr Meyer, stehen Sie auf,
Polen haben das Dorf angezündet, es brennt an mehreren Stellen.’
Ich hatte mich kaum angezogen, da betraten zwei bewaffnete Polen
mein Zimmer und gaben mir Befehl, ins oder unters Bett zu kriechen.
Weil es ihnen nicht schnell genug ging, gab es Schläge mit der
Stahlrute. Ich blutete, der Gastwirt ebenfalls. Dann ließen sie von
uns ab und gingen ins nächste Gehöft. Ich nahm meine Akten, lief
sieben Kilometer blutgetränkt zur Bahn, fuhr nach Berlin und
meldete den Vorfall.“
Wir könnten Dutzende weitere Augenzeugenberichte wiedergeben. Dies
alles geschah, bevor die Wehrmacht am 1. September 1939 den Krieg
gegen Polen eröffnete. Der polnische Terror erreichte jedoch erst
nach Kriegsausbruch seinen Höhepunkt: Am 3. September, dem „Bromberger
Blutsonntag“, wurden tausende deutsche Zivilisten wie Vieh von den
Polen abgeschlachtet. Die offiziellen Zahlen sprechen von rund 5400
Toten, andere Schätzungen gehen von 15.000 aus.
Hin und wieder liest man auch in Geschichtsbüchern vom Bromberger
Blutsonntag – allerdings nicht, um das Leid der deutschen Zivilbevölkerung
zu schildern, sondern, um das NS-Regime zu schelten. Denn das
deutsche Propagandaministerium sprach von mehr als 50.000 Opfern.
Diese Übertreibung der Opferzahl scheint den Historikern wohl ein
bedeutenderes Ereignis zu sein als der systematische Massenmord!
Die 20 Jahre währende Vorgeschichte des Kriegsbeginns werden jedoch
unter den Teppich gekehrt. Die junge Generation soll vom Leiden der
deutschen Zivilbevölkerung nichts wissen; von den Bemühungen der
Reichsregierung, das Korridorproblem diplomatisch zu lösen schon
gar nicht. Der unangenehme Teil der Zeitgeschichte wird weggelassen;
das wissen diejenigen, die sich mit kritischen Werken zur deutschen
Geschichte befassen, nur allzu gut – und zwar nicht nur am
Beispiel des deutsch-polnischen Konfliktes.
Es geht nicht darum, ein Regime von seiner Schuld freizusprechen,
sondern allein darum, der Wahrheit die Ehre zu geben. Es wird so
viel vom Frieden gesprochen, aber wie soll der Friede gedeihen, wenn
Lüge und Unrecht weiter fortbestehen? Der Zweite Weltkrieg und
seine zwanzigjährige Vorgeschichte sollten uns lehren, daß das
Miteinander der Völker nur funktioniert, wenn man erstens die volle
geschichtliche Wahrheit beim Namen nennt und zweitens die Welt nicht
in Sieger und Besiegte unterteilt. Diese Versöhnung auf Augenhöhe
wurde von den Frontsoldaten des Krieges meisterhaft vorgelebt; wer
daran zweifelt, dem sei das Buch „Supersoldiers“ von Hajo
Hermann ans Herz gelegt. Die Politik und die Geschichtsschreibung
verstreuen mit ihrer selektiven Wahrnehmung aber nach wie vor die
Saat des Unfriedens.
|