Anmerkungen
zum „Vertrag von Lissabon“
Was beinhaltet also der Vertrag von Lissabon, jene scheinheilige Kopie des vier Jahre zuvor gescheiterten „Vertrags über eine Verfassung für Europa“? Textlich stimmt der „Reformvertrag“ immerhin zu 97 Prozent mit dem Vorgängerwerk überein. Beide wurden sie jedoch geschaffen von Feinden der Demokratie, „Verfassungen von oben“ im Stile Napoleons.
Das zeigt sowohl die Entstehungsgeschichte, als auch der Inhalt. Als man vor rund fünf Jahren die Idee gebar, der EU eine eigene Verfassung zu geben, kam man leider nicht daran vorbei, in einigen Ländern das Volk per Referendum nach seiner Meinung zu fragen. Das Ende ist bekannt. In Frankreich und den Niederlanden stimmte eine Mehrheit gegen den Verfassungsentwurf. Natürlich nur, um gegen die Politik der jeweiligen Regierung zu protestieren, nicht etwa aufgrund von inhaltlichen Gesichtspunkten, das versteht sich ja von selbst. So schien das Projekt EU-Verfassung zunächst zu scheitern.
Doch die EU wäre nicht die EU, wenn sie sich auch nur einen Kehricht um das Votum einer demokratischen Mehrheit scheren würde. Also packte man den Inhalt in einen neuen Vertrag, den man nun „Reformvertrag“ nannte. Diesesmal wollte man kein Risiko eingehen und stattdessen alles wie gewohnt von oben nach unten verordnen. Doch in Irland wollte es partout nicht funktionieren, daß man den Vertrag ohne Referendum durchboxt. Also schluckte man die Kröte und befragte das irische Volk.
Nur wollten es die Iren dem Zetralkommittee, Verzeihung, der EU-Kommission leider nicht so einfach machen – sie lehnten den Vertrag mehrheitlich ab. Daran war natürlich nur die massive Propaganda eines bösen irischen Unternehmers schuld. Die ganze EU schimpfte auf einen Milliardär – ein bislang einzigartiger Fall in der Geschichte der Union.
Doch auch die EU legt hin und wieder Wert auf Traditionen. Zwar nicht, wenn es um den Schutz der Qualität des deutschen Bieres durch das Reinheitsgebot geht. In diesem Fall beschwor man jedoch die alte Tradition, die widerspenstigen Iren einfach solange zu befragen, bis sie die gewünschte Antwort geben. Das war schon vor der Euro-Einführung der Fall. Damals wurden ingesamt drei Referenden durchgeführt, bis die Einheitswährung endlich den Segen von der grünen Insel erhielt. So sollen die Iren ein zweites Mal den Gang zur Wahlurne antreten und das Vertragswerk endlich annehmen. Die ganze Union wird ihnen dabei grimmig auf die Finger starren, damit diesesmal nicht schon wieder ein „falsches“ Ergebnis rauskommt.
Da wir ohnehin schon alle wissen, daß der Reformvertrag kommen wird, ganz gleich, wie die Iren abstimmen werden, wäre es vielleicht auch ganz interessant zu wissen, was da überhaupt drinsteht. Unsere Politiker wissen es nämlich nicht. Das hat eine Umfrage des Politmagazins Panorama unter Beweis gestellt. Als der deutsche Bundestag im Mai 2005 über die EU-Verfassung abstimmte, wurden mehrere Abgeordnete zu deren Inhalt sowie zu ganz allgemeinen Dingen zu Europa befragt. Kein einziger konnte auch nur eine Frage zur EU-Verfassung beantworten, mit einer Ausnahme wußten die hohen Herren noch nicht einmal, wieviele Sterne die Flagge der Europäischen Union zählt!
Ganz im Ernst: Diese Umfrage hat knallhart gezeigt, von welchen geistigen Tieffliegern wir regiert werden: Beliebig austauschbare Marionetten, ohne Charakter, ohne Sachverstand, ohne Wissen, dafür aber redegewandt und jederzeit bereit, in eine Kamera zu grinsen und hohlen Schrott von sich zu geben.
Um zumindest jenseits der politischen Klasse ein gewisses Bildungsniveau zu wahren, seien hier ein paar Inhalte des Reformvertrags genannt.
- Der einzige wirkliche Unterschied zwischen dem ursprünglichen Entwurf zur EU-Verfassung und dem
Lissaboner Vertrag besteht darin, daß die EU durch das Scheitern der Verfassung auch weiterhin auf Verträgen basieren wird und der Reformvertrag nur einige Änderungen anbringt. Ursprünglich wollte man alle Inhalte der EU-Verträge in eine Verfassung integrieren. Ob man nun aber auf Grundlage von Verträgen oder auf Grundlage einer Verfassung entmündigt wird, dürfte den Bürgern egal sein.
- Fortan ist die Union eine eigene Rechtspersönlichkeit.
- Der innere Aufbau der Union wird umstrukturiert. Das nur zum Schein bestehende EU-Parlament bekommt mehr Rechte. Nach wie vor hat das Europaparlament aber nicht die Möglichkeit, Gesetze einzubringen, was für eine gewählte Volksvertretung weltweit wohl einmalig ist. Das Parlament darf nur zusammen mit dem Rat der Europäischen Union in einem langwierigen Verfahren über Rechtsakte abstimmen, die allein von der EU-Kommission vorgeschlagen werden. Es hat keinerlei Initiativrecht.
- Außerdem erhält die Union neben einem Präsidenten des Europäischen Rates auch einen Außenminister zur Intensivierung der „gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik“. Damit wird den Nationalstaaten eine weitere Kernkompetenz vollständig entrissen und in die Hände der EU übertragen. Der EU-Außenminister ersetzt den bisherigen „Hohen Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik“ und wird vom Europäischen Rat gewählt.
- Die Gemeinsame Verteidigungspolitik soll durch den Ausbau der Europäischen Verteidigungsagentur (EVA) verstärkt werden. Außerdem soll ein Fonds zur Finanzierung von Militäreinsätzen gegründet werden. Der Marschbefehl kommt aus Washington und dort wünscht man offenbar, daß die Mobilmachung künftig schneller von statten geht. Deutschland wird damit noch stärker in Auslandseinsätze verwickelt sein. Zudem verpflichtet der Reformvertrag die Mitgliedsstaaten ausdrücklich zur militärischen Aufrüstung.
- Ein Punkt, der in den Zeitungen selten Erwähnung findet, ist, daß der Vertrag das Tötungsverbot in einzelnen Fällen aufhebt, und zwar vor allem im Fall von „Aufruhr und Aufstand“. Damit ist die EU im wahrsten Sinne des Wortes gut gerüstet für eventuell bevorstehende Ausschreitungen im Zuge der weltweiten Wirtschaftskrise.
- Die EU tritt der Europäischen Menschenrechtskonvention bei. Dabei hat das Brüsseler Ungetüm zu den Grund- und Menschenrechten ein relativ zwiespältiges Verhältnis. Zwar werden im Reformvertrag die wichtigsten Grundrechte genannt, doch besteht keine Möglichkeit, diese Rechte juristisch einzuklagen. So etwas wäre im Grundgesetz nicht denkbar. Der Verfassungskritiker Karl Albrecht Schachtschneider spricht daher vom „schäbigsten Menschenrechtstext, der jemals in der freien Welt formuliert wurde“.
- Ein Punkt, den der Reformvertrag völlig außen vor läßt, ist der soziale Bereich. Und das aus guter Tradition. Die Union hat sich in ihrer Geschichte nicht einmal um die Sicherung von sozialen Standards gekümmert. Das würde ja dem freien Markt und der eurokratischen Expansionswut, die auch vor Asien nicht mehr Halt macht, im Wege stehen. Es gibt Richtlinien, die einem Staat verbieten, insolventen Unternehmen aus der Patsche zu helfen und die den Durchmesser von Pizzen vorschreiben – aber es gibt keine Richtlinie, die Europa in irgendeiner Form sozialer gestalten will! Lieber verklagt man einen Mitgliedsstaat, der es sich erlaubt, den Anbau von gentechnisch manipuliertem Saatgut zu verbieten, wie unlängst in Österreich geschehen!
- Viel wichtiger ist es offenbar, die „Wettbewerbsfreiheit“ vor jeglichen Angriffen zu bewahren, um den eigentlichen Herrschern der EU, den großen Konzernen, gefügig zu sein. Denn es ist längst kein Geheimnis mehr, daß sich die EU massiv in den Fängen von Banken, Versicherungen und Industriekonzernen befindet – so sehr, daß der EU-Kommission bereits fertige Entwürfe für Richtlinien und Verordnungen vorgelegt werden, die dieselbe dann druckfrisch einbringen kann.
Der Verfassungsvertrag wird also garantieren, daß die EU noch tiefer in die Belange der Menschen eingreift – und das ohne jegliche demokratische Legitimation. Als weiterführende Quelle sei die DVD von Prof. Dr. Karl Albrecht Schachtschneider von der Universität Erlangen empfohlen, die den Titel „Was würde die EU-Verfassung für jeden einzelnen bedeuten?“ trägt.
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