
Das Aussterben des
Handwerks
Gerber,
Kürschner und Schuster – das sind alte Handwerksberufe, die man
heute praktisch nicht mehr kennt und für die in einer
globalisierten Welt nur noch im Museum Platz ist. Doch das
Aussterben des Kleinhandwerks vollzieht sich so schnell und
dramatisch, daß auch das, was noch vor wenigen Jahren in jedem
Kleindorf zu finden war, bald vollständig von der Bildfläche
verschwunden sein könnte – insbesondere Bäckereien und
Metzgereien.
Diese
Entwicklung hat vielfältige Ursachen, die jedoch wechselseitig
zusammenhängen. Zum einen ändert sich das Kaufverhalten der Bevölkerung
weiterhin in Richtung Zentralisierung. Der Tante-Emma-Laden ist längst
ausgestorben und inzwischen wird es schon als müßig empfunden,
wenn man „nur“ alle Lebensmittel und Dinge des täglichen
Gebrauchs in ein und demselben Geschäft kaufen kann. Beim wöchentlichen
Einkauf möchte man gerne nebenzu ein Paar Schuhe, einen Gartenstuhl
oder Spielzeug für die Kinder mitnehmen. Die Angebotspalette von
Discountern wie Aldi und Lidl ist längst darauf ausgelegt, von
Riesen-Supermärkten wie Marktkauf und Edeka gar nicht zu reden.
Wo auch das nicht genügt, stampfen die großen Einkaufszentren aus
dem Boden – die Glacis-Galerie in Neu-Ulm läßt grüßen. Bei
einem solchen Einkaufsphilosophie braucht man sich nicht zu wundern,
wenn die Leute den Umweg zum Bäcker scheuen, um für 2,80 Euro
einen Laib Brot zu kaufen, den es auch eingetütet und für’s
halbe Geld bei Lidl gibt.
Bereits die Hälfte des Brotes wird im Supermarkt gekauft. Zudem hat
Brot genauso wie Kartoffeln nicht mehr die Bedeutung wie in
vergangenen Zeiten. Das hat zur Folge, daß in Deutschland alle fünf
Tage eine Bäckerei schließt. Nach Angaben der Bäckerinnung
Neu-Ulm ist die Innung binnen 20 Jahren von 55 auf gerade einmal
noch 16 Bäcker geschrumpft.
Doch das ist nicht die alleinige Ursache für das Bäckersterben:
Der Konkurrenzdruck gegenüber den 27 großen Backunternehmen, die
die Supermärkte und Backshops mit „Teiglingen“ versorgen, wird
immer dramatischer. Dabei handelt es sich um tiefgefrorenen rohen
Teig, der innerhalb von Minuten aufgebacken werden kann. Die
Tatsache, daß diese „Teig-Rohlinge“ (daher der Begriff „Teigling“)
luftig und frisch schmecken, sollte nicht darüber hinwegtäuschen,
daß hier allerlei Stoffe und Verfahren mit hineinspielen, die
Teiglinge zu etwas machen, das mit einem klassischen Brot nichts
mehr zu tun hat. Beispielsweise werden bestimmte Enzyme des
Getreidekorns genetisch so verändert, daß die Schimmelbildung
unterdrückt wird. Auf diese Weise erreicht man, daß ein Laib Brot
auch nach sechs Wochen (!) noch keinen Schimmel ansetzt.
Die Aufback-Waren werden oft hunderte oder tausende Kilometer
transportiert, bevor sie beim Verbraucher landen. Eine der führenden
Großbäckereien produziert zum Beispiel in Warschau und beliefert
in Deutschland Discount-Bäckereien. Auch die Geschäfte im
Landkreis Neu-Ulm spüren diesen Druck: „In Ländern wie
Tschechien oder Polen gibt es weniger strenge
Lebensmittelbestimmungen und die Löhne sind niedriger“, so
zitierte die Neu-Ulmer Zeitung den Innungs-Obermeister Wiedenmayer.
Während einerseits der
Markt für frische Lebensmittel zunehmend globalisiert wird, ist es
andererseits oftmals nur stumpfsinnige Bürokratie, die den
Kleinbetrieben das Leben schwer macht. Zahlreiche Metzgereien können
davon ein Lied singen: Seit 1.1.2010 ist die EU-Verordnung 853/2004
in Kraft, die zur Folge hatte, daß viele Metzgereien die Arbeit des
Schlachtens auslagerten oder den Betrieb sogar ganz stillegten.
Worum geht es? Seit dem 1.1.2010 brauchen alle Metzger getrennte
Zulassungen für Schlachtung, Zerlegung und Verarbeitung. Die
EU-Verordnung sieht unter anderem vor, daß für diese einzelnen
Verarbeitungsschritte getrennte Räume existieren, die in genau
dieser Reihenfolge angeordnet sind. Weiter sind Stiefelwaschanlagen
und Hygieneschleusen vorgesehen. Für viele Betriebe hätten die
notwendigen Umbaumaßnahmen Investitionskosten im Bereich von 25.000
Euro und mehr bedeutet.
In manchen Landkreisen hat gerade einmal die Hälfte der Betriebe
die Zulassung zur Schlachtung im eigenen Geschäft erhalten. Und in
so mancher Metzgerei, die seit Generationen im eigenen Haus
schlachteten, ohne daß es Hygieneprobleme gegeben hätte, karrt
heute ihr Vieh zum Schlachthof, wo jeden Tag tausende Tiere
vollindustrialisiert geschlachtet werden – meist von Osteuropäern,
die für einen minderwertigen Lohn arbeiten. Einer der Betriebe, die
keine eigene Schlachtzulassung mehr haben, ist die allseits bekannte
Platzmetzgerei in Weißenhorn. „Seit 1849“ steht an der Gebäudefront.
160 Jahre lang hat es keiner geschafft, den Metzgern hier die
Schlachtung im eigenen Haus madig zu machen – bis die EU-Bürokraten
anrückten!
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